Türkei: Maßnahmen zur Verhinderung von Terrorismusfinanzierung werden zur Unterdrückung der Zivilgesellschaft missbraucht

amnesty logoDie Türkei nutzt die Untersuchungsergebnisse einer internationalen Aufsichtsbehörde für die Bekämpfung von Terrorismusfinanzierung und Geldwäsche, um mit einem drakonischen neuen Gesetz gegen zivilgesellschaftliche Organisationen vorzugehen. Dem muss sich die internationale Staatengemeinschaft entgegenstellen, fordert Amnesty International in einem neuen Bericht. Die Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse erfolgte vor der jährlichen Sitzung der Financial Action Task Force (FATF) vom 21. bis 25. Juni 2021.

BERLIN, 17.06.2021 – Amnesty Internationals neuer Bericht „Weaponizing counter-terrorism: Turkey’s exploitation of terrorism financing assessment to target civil society“ zeigt, wie ein Ende 2020 in der Türkei verabschiedetes Gesetz die legitime Arbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen zu untergraben droht. Das „Gesetz Nr. 7262 zur Verhinderung der Finanzierung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen“ führt neue Maßnahmen ein, die das Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit sowie international anerkannte Garantien für faire Verfahren verletzen.
 
„Das Gesetz Nr. 7262 ist ein weiterer Baustein in der türkischen Anti-Terror-Gesetzgebung, die in vielen Teilen seit einigen Jahren zur Bekämpfung der Zivilgesellschaft missbraucht wird. Menschenrechtsverteidiger_innen und zivilgesellschaftliche Organisationen, die bereits jetzt kriminalisiert werden – darunter Vertreter_innen von Amnesty International, können durch das neue Gesetz noch weiter unter Druck geraten“, sagt Markus N. Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland.
 
Bei ihrer Jahrestagung wird die FATF überprüfen, inwieweit sich die Türkei an den Bewertungsbericht der Task Force von 2019 gehalten hat. Darin war der Türkei nur die „teilweise Einhaltung“ der FATF-Empfehlungen zur Terrorismusfinanzierung und zu den potenziellen Risiken für den gemeinnützigen Sektor bescheinigt worden. Die FATF empfahl der Türkei, „einen fokussierten risikobasierten Ansatz und verhältnismäßige Maßnahmen zur Risikominderung für Non-Profit-Organisationen (NPOs) zu implementieren, bei denen die Gefahr des Missbrauchs von Terrorismusfinanzierung identifiziert wurde“. Als Reaktion darauf brachten die türkischen Behörden das neue Gesetz im Eiltempo durch das Parlament. Es trat am 31. Dezember 2020 in Kraft, ohne dass die Zivilgesellschaft konsultiert worden war.
 
Das Gesetz geht weit über das hinaus, was von der FATF gefordert wird, und seine übermäßig breiten und vagen Bestimmungen untergraben das Legalitätsprinzip. Angesichts der vielen Unklarheiten in dem neuen Gesetz könnte es missbräuchlich gegen zivilgesellschaftliche Organisationen eingesetzt werden. Die FATF gibt den Staaten eine Risikobewertung vor, die sie auf den gemeinnützigen Sektor anwenden sollen, um Gefahren im Zusammenhang mit der Terrorismusfinanzierung zu identifizieren und bei Bedarf Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Das neue Gesetz in der Türkei unterwirft jedoch alle gemeinnützigen Organisationen den gleichen unverhältnismäßigen Maßnahmen zur „Risikominderung“ – auch Organisationen, bei denen keine Gefahr besteht, an Terrorismusfinanzierung beteiligt zu sein. Es erlegt allen gemeinnützigen Organisationen belastende Prüfungen auf und enthält Bestimmungen, die alle Online-Fundraising-Aktivitäten behindern würden, ohne dass ein tatsächliches Risiko besteht, welches solche Bestimmungen rechtfertigen würde.
 
Das Gesetz enthält zudem Bestimmungen, die die Freistellung von Vorstandsmitgliedern und Mitarbeiter_innen sowie die Auflösung von Organisationen aufgrund von Verfahren nach dem extrem weit gefassten Anti-Terrorgesetz ermöglichen. Das neue Gesetz beschreibt die Freistellungsmaßnahmen als „vorübergehend“, strafrechtliche Verfahren wegen Terrorismusvorwürfen ziehen sich in der Türkei jedoch oft viele Jahre hin. Der Ausschluss von Einzelpersonen von ihrer zivilgesellschaftlichen Arbeit für längere Zeiträume kann selbst eine Strafmaßnahme sein und wird eine abschreckende Wirkung auf die Gesellschaft als Ganzes haben.
 
Das Gesetz steht im Kontext des anhaltenden Angriffs der türkischen Behörden auf unabhängige zivilgesellschaftlich engagierte Personen. Die laufende strafrechtliche Verfolgung des inhaftierten prominenten Vertreters der Zivilgesellschaft, Osman Kavala, und die Verurteilung des Ehrenvorsitzenden von Amnesty International Türkei, Taner Kılıç, sowie dreier weiterer Menschenrechtsverteidiger_innen im Büyükada-Verfahren sind beispielhaft dafür, wie entschieden die türkischen Behörden gegen die Zivilgesellschaft vorgehen.
 
Die Angst davor, als „Terrorist_in“ abgestempelt zu werden oder dass die eigene legitime Arbeit als „Sicherheitsbedrohung“ eingestuft wird, hat eine abschreckende Wirkung und schränkt den Handlungsspielraum für freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit ein. Während des von 2016 bis 2018 geltenden Ausnahmezustands wurden mehr als 1.300 Vereine und Stiftungen sowie über 180 Medieneinrichtungen wegen nicht näher spezifizierter Verbindungen zu „terroristischen“ Organisationen durch Regierungsdekrete dauerhaft geschlossen.
 
„Das FATF-Treffen nächste Woche muss mehr tun, als diese unbeabsichtigten Folgen anzuerkennen, und konkrete Maßnahmen ergreifen, um sie rückgängig zu machen. Dies nicht zu tun, wäre eine Abkehr von der Verantwortung und könnte eine Katastrophe für die Zivilgesellschaft in der Türkei und darüber hinaus bedeuten“, sagt Nils Muižnieks, Europa-Direktor von Amnesty International.
 
Hintergrund
 
Im Februar 2021 startete die FATF ein neues Projekt, um die unbeabsichtigten Folgen, die sich aus der fehlerhaften Umsetzung der FATF-Empfehlungen und -Standards durch die Staaten ergeben, zu untersuchen und einzudämmen. Zu den Schwerpunktbereichen, die untersucht werden, gehören dabei die Unterdrückung von gemeinnützigen Organisationen durch das Versagen von Staaten bei der Umsetzung des risikobasierten Ansatzes der FATF und die Bedrohung der Menschenrechte, die aus dem Missbrauch ihrer Standards resultiert. 
 
Laut der „Global NPO Coalition on FATF“ – die Länder überwacht, die die Vereinigungsfreiheit unangemessen eingeschränkt haben, weil sie Terrorismusfinanzierung befürchten – haben auch Albanien, Bangladesch, Kambodscha, Pakistan, Sri Lanka und Venezuela die FATF-Standards genutzt, um die Zivilgesellschaft ins Visier zu nehmen. 

Quelle: www.amnesty.de

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