08.April 2013 Lesung - Rolf Bauerdick - "ZIGEUNER" Begegnung mit einem ungeliebten Volk

ZigeunerRolf Bauerdick liest aus seinem im März 2013 erschienenen neuen Buch

„Wer die Roma verstehen möchte, wer etwas erfahren will, über ihre Lebensfreude und ihre Leidensfähigkeit, über ihr Gottvertrauen und ihre Duldsamkeit, ihre Freigebigkeit und ihren Gemeinschaftssinn, ihre Fabulierfreude und ihren Mutterwitz, wird die Erfahrung machen, dass der Reichtum der ziganen Kultur unter der vollkommenen Humorlosigkeit der Anti-Antiziganisten verdorrt. In der Umklammerung ihrer pseudohumanen Fürsorge ersticken die Zigeuner zu blassbleichen Geschöpfen. Sie mutieren zu blutleeren Chiffren, die nicht weinen und nicht lachen, nicht leiden und nicht lieben. Ihre Zigeuner bleiben grau. Sie haben keine Seele.“ (Rolf Bauerdick) Eine Veranstaltung in kritischer Auseinandersetzung mit dem „Welt-Roma-Tag“ von: Latscho Drom – Verein für Kultur, Bildung und Soziales e.V., Köln

Am Montag, dem 8. April 2013
19 Uhr (Einlaß 18:30 Uhr)
Eintritt frei!

Im Don Bosco Club
Tiefentalstr.38
Köln-Mülheim

Zitate aus dem Buch von Rolf Bauerdick - „Zigeuner – Begegnungen mit einem ungeliebten Volk“ (2013):

Zigeuner oder Roma: „Victor Calderar aus Klein-Kopitsch legte Wert darauf, auf keinen Fall ein Tzigan genannt zu werden und zwar mit der Begründung, die Zigeuner würden im Gegensatz zu ihm, einem Rom, erstens faul sein, zweitens keinen Bart tragen und drittens lieber betteln und stehlen, anstatt einer ehrbaren Arbeit nachzugehen. Nebenbei bemerkt, sollte ich später viele Tzigani treffen, die auf diesem Namen bestanden, weil sie umgekehrt die Roma für Kriminelle hielten, mit denen sie auf keinen Fall in einen Topf geworfen werden wollten.“ (S.35)

„’Wären wir Roma, würden deren Chefs ihre Eintreiber schicken und wir müssten Tribut zahlen, Aber wir sind keine Roma. Wir sind Tzigani.’“ (S.166; Bewohner des rumänischen Dorfes Roşia)

Zigeuner oder nicht: „Romani Rose ist ein Sinto, der nicht Zigeuner genannt werden will. Natascha Winter war eine Sintezza, stolz, eine Zigeunerin zu sein. Nun könnten beide Ansichten friedlich koexistieren. Das tun sie aber nicht. Weil es nicht um Begriffe geht, sondern um politische Macht, um gesellschaft-lichen Einfluss und um unsäglich unkluge Rechthaberei. Wobei nicht zählt, wer die plausibleren Argumente auf seiner Seite hat, sondern jenes Mehr an medialer Präsenz und lobbyistischer Potenz, das nötig ist, um sich im öffentlichen Meinungsranking durchzusetzen.“ (S.179)

Über das Wahrsagen: „Die Zigeunerinnen schaffen mit ihren netten Prophezeiungen im Grunde nur ein positives Investi-tionsklima. Deshalb ist es auch grundverkehrt, ja geradezu kontraproduktiv, wenn akademische Zigeunerforscher das Bild der Kartenlegerin oder Handleserin als Klischee oder gar als antiziganes Stereotyp diskreditieren. Diese Leute begreifen nicht, dass die Roma-Frauen in ihren weiten Röcken nur eine preiswerte Variante des Finanzberaters im Nadelstreifen und der Fondmanagerin im Busi-nesskostüm sind. Ihre Voraussagen für künftige Gewinne sind allesamt schön, nur eben viel zu schön, um wahr zu sein.“ (S.67)

Über Kriminalität: „Verschwiegen wird der beklemmende Umstand, auf den der Kriminalsoziologe Szilveszter Póczik hinweist. Jeder zweite Erwachsene und drei von vier jugendlichen Delinquenten in den ungarischen Haftanstalten sind Roma. Und das bei einem Bevölkerungsanteil von acht Prozent. Verschwiegen wird, dass die interethnische von der intraethnischen Gewalt bei weitem übertroffen wird. Die meisten Opfer der Roma sind selbst Roma, verprügelte Frauen, missbrauchte Mädchen und ausge-beutete Kinder. Und verschwiegen werden letztlich auch die Stimmen jener Zigeuner, die aus dem Kartell des Verschweigens aussteigen.“ (S.149)

„Offensichtlich ist die Bezeichnung ‚Sinti und Roma’ im kriminologischen Umfeld dann einwand-frei, wenn Sinti und Roma die Opfer sind. Sind sie aber die Täter, wird die Bezeichnung diskri-minierend.“ (S.215)

„Philo-Ziganisten“: „Der subtile Rassismus der Sinti- und Roma-Freunde besteht darin, dass sie der Gesellschaft alles, den Zigeunern indes nichts abverlangen. So verhält man sich gewöhnlich gegenüber Menschen, denen man nichts zutraut." (S.206 f.)

Anti-Antiziganisten: „Wer die Roma verstehen möchte, wer etwas erfahren will, über ihre Lebensfreude und ihre Leidensfähigkeit, über ihr Gottvertrauen und ihre Duldsamkeit, ihre Freigebigkeit und ihren Gemeinschaftssinn, ihre Fabulierfreude und ihren Mutterwitz, wird die Erfahrung machen, dass der Reichtum der ziganen Kultur unter der vollkommenen Humorlosigkeit der Anti-Antiziganisten verdorrt. Ihre bürokratische Sprache ächzt unter der Last bibliografischer Anmerkungsapparate, ihr haftet der Ruch deutscher Hyperkorrektheit an, gepaart mit einem Jargon, der zwischen Gedichtin-terpretation in Klasse zehn und soziologischem Proseminar der siebziger Jahre changiert. Das wäre nicht weiter beachtenswert, würden sich die Autor_innen nicht für erhellt genug wähnen, die unauf-geklärte Dominanzgesellschaft ideologiekritisch durchleuchten zu können.“ (S.242)

„In der Umklammerung ihrer pseudohumanen Fürsorge ersticken die Zigeuner zu blassbleichen Geschöpfen. Sie mutieren zu blutleeren Chiffren, die nicht weinen und nicht lachen, nicht leiden und nicht lieben. In den Studien der Anti-Antiziganisten finden sich Abertausende Belege für offene und versteckte Rassismen, aber kein einziger Satz, aus dem spricht, dass sie die Zigeuner schätzen. Nicht einmal zwischen den Zeilen.“ (S.256)

„Deshalb bleiben ihre in Anführungszeichen gesetzten Zigeuner grau. Sie haben keine Seele.“ (S.257)

Prostitution: „Sodann sagte Radka [eine bulgarische Romni in Dortmund] noch etwas, dass alle Moralisten alt aussehen lässt, die permanent betonen, es sei die Armut, die Frauen aus Südosteuropa auf den Strich treibe. Gewiss ist Armut ein Faktor, der die Prostitution fördert. Aber sie ist nicht die Ursache. Der Grund, weshalb Frauen aus Plovdiv sich in Dortmund verkaufen, sind einzig und allein Männer. ‚Keine Frau aus Stolipinovo fährt allein nach Dortmund. Keine!...’“ (S.229)

Rolf Bauerdick, Zigeuner. Begegnungen mit einem ungeliebten Volk, DVA 2013, ISBN 978-3-421-04544-7

Weitere Informationen unter: http://www.versalia.de/Rezension.Bauerdick_Rolf.1289.html

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