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Interview mit Jörg Pfennig - Bildsto:rung

webJoerg-22Ungewöhnliche Perspektiven auf das (allzu-)Menschliche, die verheißungsvolle Aura einer fast leeren Litfasssäule im Nebel, „The Spirit Of A Unterführung“, die Einlösung einer leeren Versprechung und die Funktionalität menschlicher Wahrnehmung selbst, sind sich durchziehende Themenstränge im Werk des Künstlers Jörg Pfennig. Es geht nie nur um das schöne Abbild der Realität. Dieses wäre der Täuschung näher, als die BILDSTO:RUNG. Jörg Pfennig, geb. 1961 in Magdeburg, lebt seit 1994 in Köln und arbeitet seither in eigener Praxis (Psychologie) im Agnesviertel.

Seit 1984 erfolgt eine intensive künstlerische Auseinandersetzung mit dem Medium Fotografie. Am 01. November 2008 beginnt die Fotokunst-Ausstellung des Künstlers in der Galerie-Graf-Adolf. Wir haben die Gelegenheit genutzt um dem Künstler einige Fragen zu stellen.


Hallo Jörg, du bist in Magdeburg geboren und hast lange Zeit in Jena gelebt, wie hast du die Wende erlebt?
Am 9. November 1989 wollten meine damalige Frau und ich gerade die Einweihungsfete für unsere schwer erkämpfte Wohnung in Jena feiern. Als wir erfuhren, dass die Grenzen geöffnet wurden, überlegten wir erst, die Feier abzusagen und rüberzufahren. Doch alle Züge waren weg. Keiner hatte ein Auto. Also machten wir unsere Wohnungseinweihung zu einer ganz besonderen Party.

Welche Hoffnungen und Wünsche hast du mit der Maueröffnung verbunden?
Es war eine Befreiung, diesen Zaun endlich überqueren zu können. Ich wollte, dass wir in unserem Land etwas eigenes machen und war von der Idee der Demokratie des Runden Tisches begeistert. Alle möglichen politischen Richtungen sitzen zusammen und widmen
sich den Aufgaben und Problemen, die sich stellen. Als Mitglied der Grünen reiste ich einmal nach Erlangen und war begeistert davon, wie die Kommunalpolitik dort praktiziert wurde. Es saßen Rote, Schwarze und Grüne gemeinsam im Rathaus. Das hat mich schwer
beeindruckt. Die sagten: “Wir machen Kommunalpolitik, dass heißt Probleme zu lösen und was für die Bürger zu tun.“
Die Entwicklung ging nun dahin, dass die DDR sehr schnell in die BRD integriert wurde. Ich fand das schade. Der Runde Tisch ging den Bach runter. Also sah ich von da an meine Aufgabe darin, beim Individuum, beim Menschen selbst zu arbeiten. Deswegen bin ich Psychologe geworden. Wenn die Menschen es nicht schaffen ihr Leben selbstbestimmt zu leben, dann kann eine wirkliche Demokratie nicht funktionieren.


Warum lebst du jetzt in Köln?
Ich habe 1993 meine jetzige Frau, sie lebte bereits hier, kennengelernt...

Wie bist du zur Fotografie gekommen?
Als ich 10 Jahre alt war, hat mir mein Vater eine 6 cm x 6 cm Box mit Rollfilm in die Hand gedrückt, da habe ich meine ersten Fotos gemacht. Er hat selber sehr viel fotografiert und das hat mich sehr fasziniert. Während meines Psychologiestudiums machte ich eine Sprachreise nach Kiew und habe diese mit einer russischen Zorki, einem Leicanachbau (Messsucherkamera) dokumentiert. Seitdem habe ich mich intensiver mit der Materie beschäftigt und das Fotografieren wurde eine Leidenschaft mit wechselnder Intensität. Ich war dann Theaterfotograf am Theaterhaus Jena und begleitete fotografisch die Profi-Rockband ROSA.


Wie ging die Entwicklung in Köln weiter?
1998 habe ich im Zusammenhang mit der Photokina, Oliver Rausch, den Leiter der Fotoakademie in Köln kennen gelernt. In zahlreichen Kursen, Seminaren und Workshops habe ich mich intensiv mit der Fotografie beschäftigt und mich weiterentwickelt. Dabei widmete ich mich sowohl technischen als auch künstlerischen Aspekten. Im Laufe der Zeit hatte ich viele Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen in Thüringen, Sachsen-Anhalt und natürlich in Köln. So habe ich für die MacEXPO-1998 ein interessantes Projekt gemacht: „Hybridfotografie – Leica M meets Macintosh“ und aktuell im Restaurant LAMÄNG
(Sudermannstr./Ebertplatz) zeige ich „Veedelsbilder“.

Welche Technik verwendest du?
In der DDR habe ich Schwarzweißfotografien gemacht, da die Farbqualität der Bilder mir nicht zusagte. Später machte ich dann ausschließlich Dias. Seit 2007 fotografiere ich fast nur noch digital und in Farbe. Ich bearbeite die Bilder nur ganz sanft für den Druckprozess.

Welchen Stellenwert hat die künstlerische Arbeit für dich?
1987 - ein Jahr vor Abschluss meines Psychologiestudiums - stand ich vor der Wahl, abzubrechen und Fotographie für Grafik und Buchkunst zu studieren. Da habe ich mich für Psychologie als Broterwerb entschieden. Mir wurde klar, Kunst sollte frei sein. Meine Arbeit als Therapeut ist genau das richtige für mich, dort bin ich zu Hause und es ermöglicht mir, meine künstlerische Tätigkeit zu finanzieren. Dadurch bin ich völlig frei von jeglichem Druck. Ich muss keine Bilder verkaufen oder neue Werke produzieren, weil das Geld knapp wird. Das ist absolut in Ordnung so. An erster Stelle kommt sowieso meine Tochter, dann bin ich Ehemann, Psychologe und danach kommt die Kunst. Das setzt einen straff organisierten Zeitplan voraus und ab und zu muss auch mal was liegen bleiben.

Wie wählst du deine Motive und Themen aus?
Ich unterscheide zwischen Thema und Motiv. Es gibt Motive, die ein bestimmtes Thema ausdrücken. Es ist die Möglichkeit den Inhalt darin darzustellen und abzuwickeln. Meist beschäftige ich mich mit einem Thema und suche Motive dafür. Ich bin ein Bildersucher. Oder oft passiert es mir, dass ich ein Motiv einfach toll finde und selber gar nicht weiß, was mich da genau anspricht. Ich entscheide emotional und das ist immer richtig. Wenn sich ein Bild als gut herausstellt, habe ich meistens beim Fotografieren ein Kribbeln im Körper. Da war dann irgendein Element oder Ausdruck in dem Bild drin, was ich bewusst nicht wahrgenommen habe. Das heißt ich bin, während ich eine Aufnahme mache, völlig offen für meine Intuition.

Haben deine Themen mit psychologischen Aspekten zu tun?

Schon, aber nicht bei allen Werken. Bei dem Projekt BILDSTO:RUNG auf jeden Fall.
Als nächstes habe ich ein Projekt geplant, wo ich Portraits mache, in die eine Bildstörung eingebaut ist. Durch Zusammenkneifen der Augen, zwinkern u.v.m. ist immer noch etwas von der Person zu sehen. Das hat den Effekt: Man sieht nur ein zerstörtes Bild, weiß das
da was zu erkennen ist, sieht es nicht genau und reagiert emotional darauf.

Welche Motive sind für dich interessant?
Es reizen mich Bilder, die etwas beunruhigendes haben. Ein schönes Abbild mag ich sehr, wenn eine Zigarettenkippe drin vorkommt. Ich möchte Wiedersprüche aufzeigen und dabei eine ganz bestimmte Ästhetik wahren. Was ich nicht mag sind alle Dinge, die einfach nur
plakativ sind. Ich mag das Subtile. Wiedersprüche, die einem nicht gleich erschlagen. Ich benutze die Motive dafür, bestimmte Themen anzusprechen. Ein gutes Beispiel ist eine Serie von mir, da habe ich eine Litfasssäule an einem Nebeltag fotografiert. Diese habe ich dann ganz sanft bearbeitet. Ich habe die Säule ausgeschnitten und in einen grellen gelben Ton gefärbt und den Hintergrund entfärbt. Das Bild hat eine unwahrscheinlich intensive Wirkung und ich habe lange gebraucht zu verstehen, warum es mich jetzt so anspricht. Nur am Rande sind Plakate zu sehen und doch verspricht es so viel. Dies ist der Inbegriff von Werbung und Verheißung und ist doch eigentlich so eine hohle Nuss. Das reizt mich. Solche Motive findet man zum´Beispiel bei William Egglestone. Er hat eine tolle Serie gemacht, „The spirit of Dunkerque“. Meine Motive sind seinen sehr ähnlich.

Wie ist es zu der Idee BILDSTO:RUNG gekommen?
Nun das war ein Zufall. Ich habe eine Digitalkamera, bei der ein Glied in der Informationsverarbeitungskette schlicht und ergreifend kaputt gegangen ist. Es war eine ganz besondere Kamera mit sehr guten Eigenschaften. Daher mein Entsetzen, als ich das erste Mal das Ergebnis meiner Bilder sah. Ein magentafarbener Streifen führte quer über das Bild. Es sah aus, als ob Nadelstreifen über meine Fotografie gezogen wurden.
Dann habe ich mit dieser Kamera ein Kinderfest fotografiert und ich war von den Möglichkeiten, die mir die neue Abbildung bot fasziniert. Ich verfiel in einen schieren Farb- und Bilderrausch. Wollte alle Möglichkeiten auskosten, die mir diese neue „Perspektive“ lieferte. Es wurden etliche hundert Fotos und das Ergebnis ist einfach toll.

Was ist das besondere an dem Projekt „BILDSTO:RUNG“?
Der philosophische Hintergrund ist der Konstruktivismus, welcher mich sehr beschäftigt. Die Welt in der wir leben, existiert nur durch uns. Unsere Realität ist der einzig erfahrbare Bereich der wahren Realität. Jeder sieht die Welt nur aus seinen Augen.
Was hat das mit meinen Bildern zu tun? Nun, es wird das scheinbar realistische Abbild, durch den Zerstörungsprozess der Kamera in ein scheinbar verfremdetes Bild verwandelt. Eine völlig neue Wirkung entsteht. Aber es ist ja ein genauso reales Foto. Dies führt vor Augen, dass das schöne Ab-Bild der Illusion vielleicht sogar näher ist, als die „BILDSTO:RUNG“. Denn alles was wir da draußen sehen, ist das Konstrukt unserer eigenen Wahrnehmung.
In dieser Ausstellung kann man sehen wie breit die Möglichkeit ist, Dinge wahrzunehmen. Ich bin total gespannt auf die Reaktionen und freu mich auf Kritik jeder Art.

Was möchtest du beim Betrachter mit deiner Kunst erreichen?
Ich beabsichtige Irritationen zu erzeugen. Durch die Reflexionen will ich zum Denken anregen. Das soll natürlich Spaß machen und eine gewisse Ästhetik spielt auch eine große Rolle. Alles in Allem möchte ich dem Betrachter ein visuelles Genusserlebnis bescheren.

Was wünschst du dir für die Zukunft?
Mein tiefster Wunsch ist, dass meine Tochter ein erfülltes und kreatives Leben, mit viel Liebe führt.
Wir danke für das Interview.

Weitere Informationen zu Jörg Pfennig:

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